Wieder on Tour…

… bin ich seit dem 16. Juli. Ziel war mal wieder das andalusische Tarifa, wo ich jeden Sommer verbringe.

Die Reise begann mit einem kleinen Schock. Bereits am ersten Tag bin ich mit meinem Caracol und Chillie im Schlepptau von Offenbach bis kurz vor Bordeaux gefahren. Ich beschloss auf einem Rastplatz direkt an der Autobahn zu übernachten, damit ich am nächsten Morgen gleich früh weiterfahren konnte. Hintergründig muss ich hinzufügen, dass ich bereits am darauffolgenden Sonntag meinen Urlaubsjob als Bäckereigehilfin antreten musste – es blieben mir demnach gerade mal drei Reisetage. Wenn man sich überlegt, dass ich bei meiner ersten VW-Reise gemütliche zweieinhalb Monate bis nach Tarifa gedümpelt bin, wirkt diese Planung geradezu kurios. Nun denn: Ich sah für mich das Glück, dass ich mich auf diesem Rastplatz etwas weiter weg von der Autobahn und anderen Rastplatzbesuchern hinter einem Hain aus Bäumen stellen konnte. Vor mir erstreckte sich ein großes Maisfeld. Chillie und ich gingen noch kurz spazieren und gingen dann schon bald schlafen. Ich schlief den Schlaf der Gerechten, als ich auf einmal gegen 5.30 Uhr aufschrak. Geistesbenebelt sah ich zuerst einmal auf mein Handy um die Uhrzeit zu checken – wie man das eben macht, wenn man nachts aufwacht. Ich erinnere mich noch, wie ich erstaunt über den frischen Luftzug war, der mir um die Nase wehte. Da sah ich oben von meinem Hochbett aus (California-Faltdach!), dass die Fahrertür offen stand. Als ich über den Rand des Bettes gebeugt nach draußen sah, erkannte ich, dass dort auf der Wiese einige meiner Habseligkeiten verstreut lagen. Instinktiv und mit klopfendem Herzen suchte ich zuerst nach Chillie, der mich glücklicherweise von der unteren Sitzbank aus verschlafen anblinzelte. Erleichtert blickte ich über ihn hinweg und erschrak bei dem Anblick, dass auch der Kofferraum sperrangelweit aufstand. Von da an stürzte ich vom Hochbett ins Freie und sammelte, mit einem Klappmesser gezückt in Windeseile Rucksack, Toilettentasche und Klamotten ein. Im Bus angekommen verriegelte ich sofort alle Türen und stellte mehr als erstaunt fest, dass nichts – bis auf eine Werkzeugkiste aus dem Kofferraum – fehlt. Meine Canon inklusive Objektiv befanden sich noch immer im Rucksack und auf dem Tisch des VWs lag nach wie vor mein Laptop.

Ich staunte natürlich nicht schlecht … im Nachhinein nehme ich an, dass der bzw. die Täter vermutlich inmitten ihrer Suchaktion von Chillies Anblick überrascht wurden. Vielleicht hat sich der Gute sogar zu Wort gemeldet – jedenfalls scheinen sie unverrichteter Dinge die Flucht ergriffen zu haben. Das einzige, was schließlich fehlte, war eine Werkzeugkiste im Wert von 30 Euro.

Nach einem langen Gespräch mit meinem Vater packte ich schnellstmöglich meine verstreuten Habseligkeiten in den Bus und fuhr die nächstgelegene Raststätte an. Ich war noch sehr zerstreut und wollte dort erst einmal ‚runterkommen‘ und frühstücken.
Da das dortige Café noch geschlossen war, wartete ich davor im Bus. Die Raststätte war sehr belebt und viele Reisende nahmen dort ihr Frühstück ein. Unter ihnen befanden sich viele Afrikaner auf der Durchreise in die Heimat. Nach kurzer Zeit sprach mich ein kleingewachsener Mann mit sehr britischem Akzent auf das Jimi-Hendrix-Zitat an, welches die Seite meines Caracol ziert. Der Mann hieß Francis und war Mitte 50. Wir philosophierten eine Weile über die Musik der 70er Jahre. Er wirkte auf mich zwar etwas rustikal, aber dennoch sehr reflektiert. Er fragte mich anschließend, ob ich ihn mit zur nächsten Raststätte nehmen könne und erzählte mir, dass er sich seit 14 Monaten auf Reisen durch Südfrankreich befand. Er dümpelte mit Sack und Pack von Raststätte zu Raststätte und schrieb an seinem Buch. Auf seine Frage antwortete ich ehrlich, was mir in der vergangenen Nacht widerfahren ist und dass ich mich eigentlich wohler fühlen würde, alleine zu bleiben. Er reagierte sehr verständnisvoll und wir sprachen so lange weiter, bis ich mir ein Herz fasste und mich erneut nach seinem Ziel erkundigte. Die nächste Raststätte war circa 20 Kilometer entfernt – also beschloss ich, mich nicht weiter von jener negativen Erfahrung leiten zu lassen und bot ihm die Mitfahrt an. Er war äußerst dankbar und belud den Bus mit Zelt und Rucksack.

Die Fahrt war sehr angenehm und unterhaltsam. Francis ist ein fröhlicher, leicht hektischer, Zeitgenosse unter vertritt sehr idealistische Werte, welche er in seinen Gedichten und Geschichten einfließen lässt. Die 20 Kilometer zur Raststätte vergingen wie im Flug und im Handumdrehen hatte Francis seine Sachen dort ausgeladen. Wild gestikulierend bekundete er seine Dankbarkeit und fragte mich schließlich, ob ich an Gott glaubte. Ich sagte, ich denke, dass das irgendwo etwas ‚sei‘, könne mich aber kaum mit jenem christlichen ‚Gott‘ identifizieren. Er lachte herzlich und lange und meinte dann, dass er wahrscheinlich geschickt worden sei, um meines nächtlichen Reisetraumas eine positive Erfahrung entgegenzustellen, damit ich mich nicht ändere. Ich sehe das mittlerweile ähnlich: Wann immer man schlechte Erfahrungen mit dem Leben und seinen Menschen macht, sollte man nicht verzweifeln und hinter jedem neuen Moment die gleiche Gefahr vermuten, welcher man zuvor ausgesetzt war.

Auf meine Frage, was Francis im Leben für wichtig und schön halte, antwortete er, dass er gelernt habe, wie wichtig es sei, dass man kein schlechtes Gewissen dabei empfinde, wenn man sich selbst glücklich macht. Diese Sichtweise hat mich sehr beeindruckt und ich denke, dass sich darin ein Teil der Rezepts eines zufriedenen Lebens befindet. Jetzt müsste man nur noch wissen: Was genau ist es, das mich glücklich macht?

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Francis, der Rastplatznomade

Make yourself happy!